Wie ein Jahr Pandemie den Wandel der Museen vorantreibt.
Es ist genau ein Jahr her, dass wir im Kreise einer Gruppe von Veränderungswilligen über die Zukunftsfähigkeit des Kulturbetriebes bei einem online-jour fix diskutiert haben und das Projekt „Back to Unusual“ geboren wurde. Wir haben in den vorherigen Blogs schon darüber berichtet: Ein partizipatives Dialogprojekt, eine Einladung an Museen und ihre Stakeholder, gemeinsam Visionen und Strategien zu entwickeln, um das „Hochfahren“ der Organisationen nach dem Lockdown zukunftsorientiert zu gestalten.
Wer hätte damals gedacht, dass wir ein Jahr später noch immer zwischen Auf- und Zusperren hin- und herpendeln, ohne jegliche Planungssicherheit. Daher ist auch unser Projekt noch im fluxus, dennoch können wir nach mehr als 30 Interviews mit Führungskräften und Staekholdern der Museumslandschaft, einigen Workshops und vielen Kommentaren auf Social Media ein erstes Resumé ziehen. Was waren die interessantesten Kernaussagen aus den Interviews mit Führungskräften und Stakeholdern?
„Die Krise zeigt uns auf, dass dort, wo bereits Schwachstellen bestanden haben, diese nun viel stärker zu Tage treten. Was man im Leben vor Corona gerade noch im Griff gehabt hat, an Problemen gerade noch managen konnte, zeigt sich jetzt als massive Krise“, so Wolfgang Muchitsch, Präsident des Museumsbunds Österreich und wissenschaftlicher Direktor des Universalmuseums Joanneum in Graz. „Diese Krise beschleunigt aber auch das Positive. Positive Ansätze, die man vor sich hergetragen hat, werden jetzt verstärkt vorangetrieben.“
Auffallend ist die selbstkritische und ungeschminkte Sicht der Interviewpartner auf den Veränderungsbedarf, der zunächst einmal an der Frage der eigenen Werte und Haltungen sowie am Organisationszweck, dem purpose, ansetzt.
Die Rolle der Museen als Werteproduzenten rückt ins Zentrum. Dazu gehören der Aufbau lokaler Besucherschichten und Communities, die Ausrichtung der inhaltlichen Arbeit an gesellschaftlich relevanten Themen, eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Sammlung, niederschwellige Angebote und eine Stärkung der Vermittlung. Das gilt auch für das das Museum als wissenschaftliche Anstalt, als Forschungsinstitution, als Bildungseinrichtung. Weitere Nennungen gehen stark in Richtung Community-Building: das Museum als offener Ort, als Ort für Alle, als gesellschaftspolitischer Ort, als sozialer Ort des Austausches und der gemeinsamen Reflexion, aber auch als Safe Space, der Halt und Orientierung gibt.
Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, dem purpose, kommt man auch um das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr herum, was ebenfalls eine kritische Hinterfragung bisheriger Praxis mit sich bringt.
Teure Transporte, das Einfliegen von Expert/innen, aufwendige Ausstellungsgestaltungen und Katalogdrucke werden zunehmend abgelehnt. Lokale Produktion und Kooperation, der Ausbau der digitalen und hybriden Formate, sowie mehr Flexibilität in der Planung („rapid response Arbeiten“) sind demgegenüber gewünschte Alternativen.
Damit spricht Stella Rollig, Generaldirektorin Österreichische Galerie Belvedere, bisher erfolgsverwöhnt mit Touristenströmen, einen Paradigmenwechsel an. Das ist wohl die tiefgreifendste und nachhaltigste Zäsur in Folge der Pandemie, ein tatsächlicher systemischer Wandel. Warum? Weil er einerseits bisherige Erfolgsparameter, die ausschließlich auf Besucherzahlen und quantitativen Output ausgerichtet waren, in Frage stellt und damit eine längst fällige Diskussion um eine kulturpolitische Praxis auslöst. Andererseits kann ja die gesellschaftliche Rolle nur dann wirklich wahrgenommen und wirksam werden, wenn man auch dementsprechend den Outcome (also die gewünschte Veränderung) statt den reinen Output in den Vordergrund der inhaltlichen und strategischen Planung stellt.
Etwas, was als Wirkungslogik (Theory of Change) im Sozial- und Stiftungsbereich längst Eingang gefunden hat und ein taugliches Instrument zur Führung von nachhaltigen, wirkungsorientierten Organisationen geworden ist. Hier tut sich nicht nur ein neuer Zugang in der inhaltlichen und vermittelnden Tätigkeit auf, sondern auch im Kulturmanagement, wo bis dato das Wirkungsmanagement, wie es in anderen Bereich längst angewendet wird, noch völlig unerkannt blieb.
Die Frage nach alternativen Erfolgsparametern wird uns noch länger beschäftigen. In den Interviews sind einige Anregungen dazu gekommen: die Form der Teilhabe, die Anzahl und Qualität von Kooperationen, der Vernetzungsgrad, Parameter rund um die Besuchsqualität, Parameter rund um die Sammlung, Parameter rund um die Mitarbeiter/innen. Ein Thema und eine Diskussion, die unbedingt mit Subventionsgeber/innen und Eigentümer/innen geführt werden muss.
Womit wir beim letzten Veränderungspotenzial angelangt sind: der Umgang mit den Stakeholdern, also all jenen, die Interesse und Einfluss haben. Neue Formen der Teilhabe und Partizipation sind ebenso gefragt wie ein grundsätzlich neues Verständnis von Stakeholder-Engagement.
Wenn bisher selbstverständliche Besucherströme (wie etwa Tourist/innen) wegbleiben, wenn die üblichen Sponsoren und Subventionsgeber nicht mehr ausreichend zur Finanzierung beitragen können, braucht es neue Formen der Einbindung und eine neuen Fokus auf diese Aufgabe.
Womit sich der Bogen schließt: Gesellschaftliche Relevanz kann nur auf der Grundlage einer stärkeren Einbindung unterschiedlichster Stakeholder und neuen Modellen der Teilhabe und Governance erfolgen.
Die Interviews und weitere Informationen könnt ihr auf der Projektwebsite KUNST MUSS nachlesen.
Danke für den Kommentar @holtwick.bernd - Veränderungsfähigkeit und Veränderungsnotwendigkeit gehen nicht immer Hand in Hand und werden sich je nach Institution und Leitung sehr unterschiedlich gestalten. Das Überdenken und Überarbeiten von Erfolgskriterien wird umso eher gelingen, je mehr man ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Museumslandschaft und ein Entwickeln gemeinsam mit den Stakeholdern - vom Besucher bis zur Politik - sucht und ermöglicht.
Toll, dass Ihr die Debatte am Laufen haltet, damit der Blick über die Zeit der Corona-Einschränkungen hinausgeht! Ich befürchte allerdings, dass eher die bisherigen quantitativen Erfolgsmaßstäbe (so beschränkt sie auch sind) auch noch verloren gehen ("Nur die Pandemie ist schuld, wenn niemand mehr ins Museum geht!") als dass ernsthaft nach qualitativen Kriterien gesucht wird. Bin ich zu pessimistisch? Liegt sicher an Corona ;)