Insider zum Phänomen “Pop up Museum” - Vision und Strategie eines Museums das gerade einmal 4 Quadratmeter groß ist
In unserem letzten Beitrag haben wir über wirkungsorientierte Strategien großer, renommierter Museen und Kulturinstitutionen in New York berichtet. Dass aber auch kleine Initiativen einzelner Change Maker im Kulturbereich große Wirkung haben können, zeigt uns das folgende Beispiel, das sich einreiht in ein neues Phänomen: das Pop up Museum.
Jedes Jahr im April eröffnet das Mmuseumm in Downtown Manhattan, genauer gesagt in TriBeCa, seine Saison und damit seine Pforten. Untergebracht in einem ehemaligen Lastenaufzug auf rund drei Quadratmeter, ist es das wohl kleinste Museum der Welt. Gerade mal 4-5 Personen passen gleichzeitig hinein. Zugänglich ist es direkt von der Straße aus, einer winzigen Seitengasse, die auf dem Stadtplan oder Navi kaum zu finden ist. Dennoch ist der Andrang groß, und so versammelt man sich also vor den geöffneten Eisentüren in der kleinen Gasse, blockiert die Durchfahrt – wo sowieso kein Fließverkehr herrscht -, wartet und kommt schnell mit anderen Besucher_innen ins Gespräch. Oder mit der netten Mitarbeiterin, die jeden freundlich begrüßt, einen kleinen Ausstellungskatalog in die Hand drückt und die Geschichte des Museums sowie seine Ausstellung erklärt. Besucherservice wird hier großgeschrieben. Es gibt einen Audio-Guide, und auch auf den üblichen Museumsshop und das Café muss man nicht verzichten. Allerdings: Es ist noch kleiner als der Ausstellungsraum, ein Kiosk mit einer bedienten Theke, wo man Bücher, Souvenirs, give aways, Snacks und Coffee-to-go aus einer Kapsel-Kaffeemaschine erstehen kann, was die gesamte Szenerie noch charmanter macht.
Der Größe des Museums angepasst sind auch die ausgestellten Objekte. Es ist eine Sammlung an kleinen Alltagsobjekten, die große Geschichten erzählen – und groß meint hier wirkungsvoll. Es sind Geschichten über Ereignisse und Entwicklungen, die man aus Medien kennt, aber aus einer völlig anderen Erzählperspektive. Geschichten, die einen weit mehr nachdenklich stimmen und berühren als Medienberichte. Es sind Zeugnisse unserer Zeit, unserer Gesellschaft und der Probleme und Herausforderungen, vor denen wir stehen. Zum Beispiel ist da ein Regal voll mit Objekten, die Menschen bei sich trugen, als sie – zumeist unschuldig – von Polizisten auf offener Straße erschossen wurden. Geldbörsen, Handys, eine Taschenlampe, ein Regenschirm. Die Geschichte zum Regenschirm mag man aus Zeitungsberichten kennen: Der Kanadier Corey Lewis, Vater von 4 Kindern, trat mit seinem Regenschirm vor seine Haustüre, worauf die Polizei, die von Nachbarn wegen Unruhestörung gerufen worden war und das Haus umstellte, sofort das Feuer eröffnete, in der Annahme – so war es später in den Polizeiberichten zu lesen – der Regenschirm sei eine Waffe gewesen.
Auf einem anderen Regal sind Restaurantrechnungen ausgestellt, eine neben der anderen. Von Jimmy´s Steak House um 41,20 Dollar, Mellow Mushroom um $40,08, Fresh Air Bar-B-Que um $ 14,47 oder Burger King um $9,86. Keine Trinkgelder, ist mein erster Gedanke. Erst beim näheren Hinschauen und Studieren der Objektbeschriftungen wird mir klar: Das sind Rechnungen von Restaurants und Mahlzeiten, die der letzte Wunsch von Hingerichteten in den USA waren. In Jimmy´s Steak House beispielsweise wurde auf Wunsch von John Wayne Connor bestellt, Gefängnis-Insassennummer GDC#384035, hingerichtet am 15.Juli 2016. Ich erfahre aber noch viel mehr: nämlich wie der administrative Aufwand und Vorgang hinter jeder der Bestellungen, Lieferungen und dem Verzehr abläuft. Oder auch, dass Rechnungen bzw. finanzielle Transaktionen eine der frühesten schriftlichen Aufzeichnungen der Menschheitsgeschichte sind, wie etwa die Lehmtafeln in Cuneiform in Mesopotamien 3200 vor Christus belegen.
Was bietet die Ausstellung sonst noch? Die Goldmünzen der ISIS-Währung, iranisches Fast Food als Fake American Fast Food, oder Fake-Brands für Zahnpasta und Shampoo aus China mit vermutetem giftigen Inhalt. Diese werden exklusiv für ein bettelarmes Venezuela produziert und vertrieben, wo man sich trotz Ölreichtum das Original nicht leisten kann, aber den Anschein geben will. „Hoed & Schouders“ beispielsweise – nein, das ist kein Tippfehler, sondern eine neue Ausgeburt unseres Kapitalismussystems, wo auf Kosten der Ärmsten verdient wird.
„I think I curate more like an editor at a magazine or a newspaper in the sense that we´re thinking about compelling stories, we´re thinking about relevant stories. These seemingly ordinary objects, the´re intimate and the´re incredibly revealing.”
Dieses Zitat von Alex Kalman, Museumsdirektor und Kurator, stammt aus einem New York Times Artikel vom April 2019. Zur Eröffnung der 8. Saison hat es das Mmuseumm zu einem Artikel in der renommierten Tageszeitungen gebracht.
Alex Kalman, Designer von Beruf, und sein Museum sind ein Ein-Mann-Betrieb. Seine Mission:
(...) a new type of museum, expanding in a network of expected and unexpected locations, dedicated to exploring modern humanity and current events through revealing objects from around the world.
Und das gelingt ihm wunderbar. Kaum ein Museumsbesuch der letzten Zeit hat mich so nachhaltig beeindruckt und beeinflusst, darüber nachzudenken, was „Kultur“ heutzutage ist und ausmacht, und dass wir alle einen Anteil und eine Verantwortung dafür haben, wohin sich unsere Gesellschaft bewegt.
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